Abschlüsse und Neuanfänge

Blog [blɔg]: Ein Blog oder auch Weblog ist ein meist auf einer Website geführtes und damit meist öffentlich einsehbares Tagebuch oder Journal, in dem mindestens eine Person, der Blogger, (…), Aufzeichnungen führt, Sachverhalte protokolliert oder Gedanken niederschreibt. Quelle: Wikipedia

Nun, diese Mal wird es besonders persönlich: Diesen Blog zu starten, damals, vor etwa 5 Monaten, war eine Art Therapie. All die Gedanken aufzuschreiben, die tagtäglich im Kopf schwirren. Alle Themen aufzugreifen, die bei so vielen auch eines sind: Kinder, Familie, der eigene Körper. Es war eine Erleichterung. Ich hatte mir ein Stück weit eingebildet, dass ich mich selbst so aus meinem Tief ziehen könnte.

Und nun, da das nächste Jahr immer näher rückt, stelle ich fest, dass meine eigenen Erwartungen an mich selbst nicht erfüllt wurden. Dass ich noch nicht dort bin, wo ich sein wollte. Dass ich noch immer Schmerz und Trauer in mir trage. Dass ich glücklich sein kann, um im nächsten Moment direkt loszuheulen.

Es stand unter keinem guten Stern: Den Start in dieses habe ich mit meinen Kindern auf der Couch begangen. Und es wäre viel schöner gewesen, wenn ich mir das so ausgesucht hätte. Aber das habe ich nicht, das war nicht der Plan, nicht mein Plan. Nicht mein Plan vom Leben, nicht von einer Familie.

Die Monate danach glichen einer Achterbahnfahrt der Gefühle: Zwischen Hoffnung und Lichtblicken am Horizont das untrügliche Ahnen dessen, dass es vorbei ist, dass der Mensch sich entfernt hat, weitergegangen ist und sich auch nicht mehr umdrehen wird, trotz der Bekenntnisse. Leere Hülsen. Gewissensbisse. Schuldzuweisungen. Dann der Showdown. Man bricht innerlich zusammen und muss so tun, als wäre alles in Ordnung. Als wäre die Familie noch intakt, als hätte es keine Lügen und kein Misstrauen gegeben. Man funktioniert, irgendwie. Und schreit, innerlich. Der ganze Körper schreit: Man bekommt keinen Bissen herunter, an Schlaf ist nicht zu denken, die Haut rebelliert. Und doch macht man weiter. Für die Kinder. Für die Familie.

„Es ist immer einfacher für den, der geht.“ Nun, das mag richtig sein. Grundsätzlich. Wenn man zuvor eine Familie war, mit Kindern, mit Geborgenheit, mit dem Gefühl des „happily ever after“, ist die Diskrepanz zwischen den Gefühlen des Gehenden und des Zurückbleibenden jedoch so riesig, dass es in einem „einfacher“ auszudrücken die Untertreibung des Jahres ist.

Und als wäre ein Schicksalsschlag nicht genug, wartet nur wenige Monate später der nächste um die Ecke, und man weiss nicht, was schlimmer ist. Der Fels in der Brandung, der Mann, der einen immer liebt, der immer da war, Tag und Nacht, muss sich von seiner Krankheit geschlagen geben. Einer bösartigen, bisher unbesiegten Krankheit: ALS. So selten, dass zu wenige Forschungsgelder bereit gestellt werden, um gegen sie zu kämpfen. So selten, dass nicht mal die Ursachen bekannt sind. So selten, dass es kein Heilmittel gibt und sie das Todesurteil bedeutet. Durchschnittliche Lebenserwartung nach der Diagnose: Zwei bis fünf Jahre. Erinnert sich noch jemand an die Icebucket-Challenge vor ein paar Jahren? Wohl einige. Weiss noch jemand, worum es damals ging? Ich wusste es nicht mehr. Es ging genau darum, ALS, und ob die Aktion wirklich funktioniert hat – siehe das Resultat – ist zu bezweifeln. Immerhin sorgte sie für so dringend benötigte Spendengelder, ohne die die Forschung überhaupt nicht möglich wäre.

Sich innerhalb von wenigen Monaten von zwei Männern zu verabschieden, die die wichtigsten im Leben waren, ist hart. Es tut unbeschreiblich weh. Und ganz nach dem Motto „Wenn es kommt, dann richtig dicke“, kamen drei weitere, sehr prägende Abschiede für immer hinzu. Ohne die Hilfe meiner Familie, meiner Freunde und auch eines Therapeuten wäre ich da nicht rausgekommen. Sich treiben zu lassen, sich dem Schmerz hinzugeben, zu akzeptieren, dass das Leben es nicht gut meint mit einem, ist auf den ersten Blick einfacher als das, was ich tat.

Ich stellte mich selbst in Frage. Ich versuchte, mich selbst zu verstehen. Zu akzeptieren, dass ich meine Fehler habe, dass ich nicht alleine, aber auch verantwortlich war für das, was passiert ist (jedoch nicht dafür, wie es passiert ist). Warum ging mir die Trennung so nah, wo doch die Beziehung bereits vorher nicht intakt war? Wie habe ich mich in den letzten Jahren verändert? Bin ich noch dieselbe? Was kann ich tun, damit es mir besser geht? Welcher Weg ist der Richtige?

Ich fand so einiges heraus. Zum Beispiel, dass ich nicht gut darin bin, alleine zu sein. Aber doch besser, als ich dachte. Dass ich die Leere nicht unmittelbar und „einfach so“ mit einem anderen Menschen füllen möchte. Dass ich meine Härte hinter Ironie und Sarkasmus verstecke. Und dass ich das gar nicht mag. Dass ich früher viel weicher war. Dass ich wieder weicher werden möchte. Dass ich Anerkennung brauche. Und gleichzeitig Komplimente schlecht annehmen kann. Dass ich gerne neue Menschen kennenlerne, weil ich offen bin, neugierig. Dass ich einen moralischen Kompass habe, der mir das Leben manchmal erschwert, aber mich zu einem loyalen, verlässlichen Freund macht. Dass mein Selbstbewusstsein grösser ist, als ich dachte. Dass ich kreativ bin. Und sozial. Und viel emphatischer, als man mir versucht hat, einzureden. Dass ich an das Schicksal glaube, an das Universum, an die Lektionen, die einem auferlegt werden und daran, dass Gutes belohnt und Schlechtes bestraft wird, an das Karma. Und dass ich im Heute leben möchte, nicht in der Zukunft und erst recht nicht in der Vergangenheit. Ich weiss nicht, wem ich neu begegnen werde, von wem ich mich verabschieden muss, oder welche neuen Lektionen auf mich warten. Aber ich will leben. Glücklich leben. Im Jetzt.

Ein Jahr ist fast vergangen. Ich bin sentimentaler und emotionaler, als noch vor ein paar Wochen. Immerhin, ich bin viel weiter als vor ein paar Monaten. Glücklicher und ausgeglichener. Vielleicht erwarte ich zu viel, und zu schnell. „Sei nicht so streng zu dir selbst, du bist auch nur ein Mensch“, sagte mir neulich meine Freundin. Ja, das werde ich versuchen. Das kommende Jahr wird ein positiveres. Es gibt nicht viel mehr, dass mich umhauen könnte. Es wird ein Abschliessen. Und ein Neuanfang.


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